Wie lebendige Ideen mit bunten Kärtchen totgeschlagen werden

Ich habe es mehrmals selbst erlebt und andere haben mir davon erzählt: In der ersten Phase einer Zukunftswerkstatt oder eines anderen Treffens, bei dem es um die Veränderung einer Einrichtung oder um die Ideenfindung für gesellschaftliche Veränderungsprozesse ging, vielleicht auch um die Formulierung eines Parteiprogramms, sprühte der Raum nur so vor Lebendigkeit, Engagement und Visionen von Neuem. Und am Ende, als die Ergebnisse präsentiert wurden, fragte man sich, wofür man nun den schönen freien Samstag geopfert hatte. Mit großem Getöse hatte mal wieder eine Elefantin eine Maus zur Welt gebracht oder sogar nur ein paar Elefantenköttel, statt eines schönen Schmetterlings war aus einer Raupe wiederum eine Raupe geworden, vielleicht mit ein paar bunten Flecken. Und wenn es dann darum ging, wer die sogenannten neuen Ideen nun umsetzen sollte, breitete sich allgemeine Lustlosigkeit aus.

Warum ich in solchen Situationen jedes Mal großen Widerwillen spürte, wenn die ModeratorInnen die bunten Kärtchen verteilten, die am Ende einer Gruppenarbeitsphase an eine Wand gepinnt werden sollten und die dann im weiteren Prozess immer wieder neu geordnet und mit Überschriften auf anderen bunten Kärtchen versehen werden, ist mir bei unserem diesjährigen Denkwochenende von „Kultur schaffen“ klargeworden, eher als Nebenprodukt, denn wir sprachen über ganz andere Themen. In unseren Treffen geht es im Gegensatz zu dem oben Beschriebenen nicht darum, dass am Ende ein Ergebnis oder gar ein Programm herauskommt. Wir denken nur miteinander, ausgehend von dem, was jede von uns aus ihrem Leben in das Gespräch einbringt. Und trotzdem nehmen eigentlich alle jedes Mal viele neue Ideen aus unseren Gesprächen mit, die dann in unserem jeweiligen Alltag und in anderen politischen Projekten wirksam werden.

Dieses Jahr gerieten wir recht schnell in einen ungeheuer intensiven „Flow“, der die meisten von uns so sehr begeisterte, dass wir sogar unsere sonst nach jeder Pause angewandte Praxis „vergaßen“, durch Runden, in denen jede kurz mitteilt, wo sie gerade steht und an welchem Thema sie weiterarbeiten möchte, immer wieder im Denkprozess innezuhalten und quasi einen Schritt zurückzugehen und den Prozess von außen anzuschauen.

Zwei Teilnehmerinnen begründeten ihr Empfinden, nicht so richtig am gemeinsamen Denkprozess teilnehmen zu können, schließlich mit der Kritik, im Gegensatz zu sonst hätten wir uns gar nicht richtig auf ein Thema geeinigt, wir würden nichts richtig auf den Begriff bringen und zu Ende denken, alles sei so unstrukturiert. Uns andere hatte gerade das so fasziniert, dass wir, nachdem wir von einem der Themen ausgegangen waren, die wir nach der Anfangsrunde aufgelistet hatten, ständig Zusammenhänge zwischen den Themen finden konnten,  dass wir also mehrere Themen gleichzeitig mit unserem Denken umkreisten.

Auf die Aussage einer der Kritikerinnen, es habe ihr gefehlt, dass wir das, was wir gemacht hatten, nicht benannt hatten, entgegnete eine andere Teilnehmerin: „Es ist aber vielleicht auch ein Weg, der erst gegangen werden muss, weil erst im Prozess herauskommt, wie man etwas benennen kann.“ An dieser Stelle fiel mir meine Erfahrung mit der Zukunftswerkstatt ein. Denn hier wird mithilfe der bunten Kärtchen der lebendige Denkprozess dadurch kastriert, dass man gezwungen wird, etwas zu benennen, es auf einen Begriff zu bringen, wofür die neuen Worte noch gar nicht gefunden worden sind, weil noch nicht lange genug darüber nachgedacht werden konnte. So werden die Ansätze zu neuem Denken, die zu Beginn des Prozesses noch Begeisterung spürbar werden ließen, in alte Begriffe und Strukturen aus der Vergangenheit gepresst, der neue Wein wird in alte Schläuche gefüllt, wie es Jesus in einem biblischen Gleichnis so zutreffend beschrieben hat.

Dazu fiel mir später noch ein, dass die Piratenpartei in den Medien gerade deshalb immer wieder als nicht ernstzunehmendes Phänomen beurteilt wird, weil einige ihrer MitgliederInnen die Entstehung ihres Parteiprogramms einem lebendigen Prozess überlassen wollen und das, was in der Zukunft geschehen soll, nicht vorzeitig mit Begriffen und Programmen benennen wollen. Hoffentlich gelingt es ihnen, bei dieser Haltung zu bleiben.