Unter den Überschriften „Kripo geht ans Vermögen der Täter“ und „Clans müssen um ihr Geld fürchten“ berichtete meine Zeitung über die Auswirkungen einer Reform des Strafgesetzbuchs, die am 1. Juli 2017 in Kraft trat. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Vor- und Nachteile dieser Reform damals breit in den Medien diskutiert worden wären. Als die Änderungen still und leise beschlossen wurden, waren wir mit der Reform des Sexualstrafrechts beschäftigt und freuten uns darüber, dass strafrechtlich endlich „Nein heißt nein“ gelten sollte. So erfuhren wir nicht, dass es einen neuen Strafrechts-Paragraphen 76 a „Selbständige Einziehung“ gibt, der die Abschöpfung mutmaßlich unrechtmäßig erworbenen Vermögens erlaubt, und zwar auch dann, wenn die Tat nicht im Einzelnen nachgewiesen wurde.
In den Artikeln über die Folgen jener Reform wird der Schwerpunkt der Berichterstattung darauf gelegt, dass es nun möglich ist, Kriminellen Geld und Wertsachen abzunehmen und diese an die Geschädigten weiterzugeben. Damit wird der Eindruck erweckt, diese Reform sei eine gute Sache, von der wir alle möglicherweise profitieren können. Im weiteren wird aus Sicht der Finanzermittler berichtet, die sich darüber freuen, wie sehr ihnen die neuen Paragraphen die Arbeit erleichtern.
Mir wurde jedoch schnell klar, wie gefährlich diese Gesetzesänderung für Menschen dann ist, wenn sie zu Unrecht verdächtigt werden. Und plötzlich verstand ich auch, warum in meinem direkten und weiteren Umfeld in den letzten Monaten Dinge geschehen konnten, die mich zweifeln ließen, ob in unserem Land grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats noch gelten: „Keine Vorverurteilungen“, „Im Zweifel für den Angeklagten“ und „Verhältnismäßigkeit der Mittel“. Das heißt, dass entsprechende Beweise vorliegen müssten, bevor „durchgegriffen“, also beispielsweise eine Hausdurchsuchung angeordnet wird, und dass die Ermittler ihren Verdacht beweisen müssten und nicht die Verdächtigten ihre Unschuld. Vor allem im ersten Artikel wurde als positiv dargestellt, dass nun die Schwelle, um durchzugreifen, niedrig sei und der einfache Tatverdacht, also das „kriminalistische Bauchgefühl“, genüge.
Ich finde es mehr als fahrlässig, sich auf ein kriminalistisches Bauchgefühl der Ermittler zu verlassen. Wenn wir das Pech haben, in den Fokus solcher Ermittler zu geraten, finden wir uns plötzlich als ohnmächtige Untertanen in einem Obrigkeitsstaat mit kafkaesken Zügen wieder. Und das kann jeden und jede treffen. Es kann beispielsweise durch die Denunziation eines unzufriedenen Kunden passieren, die den Ermittlern plausibel erscheint. Im zweiten Artikel wurde immerhin erwähnt, dass auch der Bundesgerichtshof Zweifel an der Rechtmäßigkeit der hier hochgelobten Art der Vermögensabschöpfung hat und insbesondere die Umkehr der Beweislast kritisch sieht.
Immerhin besteht ja noch die Möglichkeit, sich einen Rechtsbeistand zu nehmen und gegen das Vorgehen der Ermittler zu klagen. Doch dies bedeutet aufgrund der unglaublich hohen Anwaltshonorare in der Praxis, dass sich ein riesiger Schuldenberg anhäuft, auf dem man schließlich sitzenbleibt, weil immer mehr Fälle durch sogenannte „Vergleiche“ zum Abschluss gebracht werden. Auch an dem, was ich mir früher unter „Unabhängigkeit der Justiz“ vorstellte, habe ich daher inzwischen erhebliche Zweifel. Denn „Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei“, das wissen die „kleinen Leute“ schon lange.
Ich habe den Verdacht, dass das Sprudeln der Steuerquellen in den letzten Jahren auch mit dieser Reform zu tun hat. Es ist leider keine Seltenheit, dass kleine und mittlere Unternehmen durch Steuerprüfungen, bei denen eben auch mit „kriminalistischem Bauchgefühl“ gearbeitet wird, um möglichst viel „Vermögen abzuschöpfen“, in ihrer Existenz bedroht werden. Durch das grundsätzliche Misstrauen der PrüferInnen, durch aberwitzige Unterstellungen und Verdächtigungen und das offen geäußerte Ziel, möglichst viel Geld aus der Prüfung herauszuschlagen, kann einem der Glaube an eine gerechte freiheitlich-demokratische Ordnung schnell abhanden kommen. Da kann sich der Horror einer solchen Prüfung auch einmal über Jahre hinziehen und einem die Freude am Leben und am Arbeiten gründlich vergällen.