Als ich neulich mit dem Rad zur Arbeit fuhr, wobei mir immer ziemlich viel durch den Kopf geht, fiel mir auf, dass meine Partnerin und ich gerade beide glücklich waren. Dabei verblüffte mich die Erkenntnis, dass unser jeweiliges Glücklichsein überhaupt nichts mit der anderen und mit unserer Liebe füreinander zu tun hatte: Ich hatte gerade ein Buch gut zu Ende gebracht, von dem ich in den zwei Jahren, in denen ich daran arbeitete, nicht einmal mir selbst gegenüber hatte erklären können, warum ich so viel Mühe hineinsteckte. Meiner Partnerin war es ein paar Tage lang gelungen, sich neben der Arbeit her ausreichend Freiraum für ihr künstlerisches Schaffen zu nehmen.
Als ich über meine Entdeckung nachdachte, begriff ich, dass die Vorstellung, wir könnten einander glücklich machen – in der Partnerschaft, in der Familie, aber auch in unserem politischen Engagement für andere – nicht nur falsch ist, sondern oft unserem Glück und dem der anderen sogar im Weg steht. Der Satz „Ich will dich glücklich machen“ oder gar „Ich werde dich glücklich machen“, der in Filmen, Büchern oder Liedern bei mir immer noch Rührung auslöst, sollte vielleicht in Zukunft in einem Spam-Filter hängen bleiben, damit er keinen weiteren Schaden anrichtet. (Die Idee mit dem Spam-Filter stammt von meinem Pfarrer, der ihn einsetzen wollte, um den Gedanken von der Allmacht Gottes herauszufiltern. Und tatsächlich sehe ich zwischen beiden Vorstellungen, der vom Glücklichmachen und der vom allmächtigen Gott, eine Parallele).
Natürlich wünschen wir uns, wenn wir lieben, dass die geliebte Person glücklich ist. Und wir möchten zu ihrem Glück beitragen, indem wir ihr eine Freude machen, sie unterstützen, ihr Materielles, Zeit, Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit und – in einer Liebesbeziehung – auch sexuelle Erfüllung schenken. Doch der Gedanke, wir müssten sie damit glücklich machen, macht uns kränkbar, wenn unser Geschenk dies nicht bewirkt, und macht unser Gegenüber unfrei, dies einzugestehen. Wir fühlen uns vielleicht schuldig und verlieren unser Selbstvertrauen, weil wir meinen, nicht richtig lieben zu können, vielleicht auch nicht „die Richtige“ für unser Gegenüber zu sein. Möglicherweise reagieren wir sogar mit Eifersucht auf die Menschen und Dinge, die unser Gegenüber glücklich machen, weil wir finden, dass nur wir oder wir in erster Linie, dazu in der Lage sein sollten. Wenn unser Gegenüber diese Ansicht teilt und schließlich nur noch partnerschaftlich ausgelöstes Glück zulässt, ist der erste Schritt getan, dass unser Leben langweilig wird und wir miteinander so richtig unglücklich werden.
Die Erwartung, jemand müsste uns glücklich machen – dem Liebes- oder Ehepartner gegenüber, zwischen Kindern und Eltern, manchmal auch einer Institution, einer Staatsform oder Gott gegenüber – richtet ebenfalls nur Schaden an. Sie führt zu Enttäuschungen, zu Vorwürfen und Kränkungen. Und, was noch schlimmer ist: Wenn wir anderen die Verantwortung für unser Glücklichsein zuschieben, halten wir uns selbst davon ab, uns um unser Glück zu kümmern, also zunächst einmal das wahrzunehmen und beiseite zu räumen, was unserem Glück ganz offensichtlich im Weg steht. Und das könnte auch die Vorstellung sein, wir müssten andere glücklich machen.
An dieser Stelle meines Gedankengangs erinnerte ich mich daran, warum mir die Präambel zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung so gut gefällt: Alle Menschen seien mit (dem Recht auf) Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück ausgestattet, heißt es da. Und die Aufgabe des Staates, also der Politik, sei es, dies zu schützen. Also dafür zu sorgen, dass dem Leben, der Freiheit und dem Streben der Menschen nach Glück nichts im Weg steht, vor allem auch nicht der Staat selbst.
Warum so etwas Einfaches politisch so schwer umzusetzen ist, verstehe ich sofort, wenn ich daran denke, wie schwer es sogar in einer liebenden Partnerschaft fällt, einander den Raum zu lassen, damit jede nach ihrer eigenen Fasson selig werden kann, und wie lange ich selbst gebraucht habe, um das zu lernen. Hätte ich schon früher begriffen, dass Glücklichmachen nicht möglich und überhaupt nicht meine Aufgabe ist, wäre mir das wahrscheinlich etwas leichter gefallen.
Das gefällt mir.
Wie befreiend! Herrlich! Danke!
Du sprichst mir aus der Seele.Sehr gut
Danke, Dorothee, für diese persönlichen Gedanken!
Und dieses „einander den Raum zu lassen“, besagt eben nicht,
wir müssen einander den Raum geben, sondern der Raum einer jeden ist in ihr selbst vorhanden; er soll nichts anderes als als solcher gelassen bleiben.
Und in einer LiebesBeziehung ist somit getrennt doppelter Raum vorhanden; nicht nur für Glücklichsein in Freuden, sondern auch Schwernisse lassen sich nach meiner Erfahrung dort so er-tragen, dass ich z.B. diese meine eigene Erkrankung letztlich sogar als mich glücklich machend empfinden kann.
Liebe Dorothee, comme c´est vrai… J´ai remarqué que plus nos proches dépendent de nous, plus il est difficile de l´admettre. Ainsi il m´est plus difficile d´accepter que je ne peux rendre mes enfants heureux que d´accepter que je ne peux rendre mon partenaire heureux. Dans le même temps, considérer l´autre seul responsable de son bonheur me semble être un signe de respect et de reconnaissance.
Das ist ein interessanter Gedanke, dass der Wunsch, glücklich machen zu wollen, stärker ist, wenn jemand sehr abhängig von einem ist. In Bezug auf die Kinder sicher, aber gilt das auch für pflegebedürftige Eltern?
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Das find ich ziemlich gut. Habe das bisher noch nicht aus dieser Perspektive gesehen, aber das klingt ziemlich einleuchtend
Ich war mit der festen Absicht hierhergesurft, um als Kommentar eine Gegenrende zu der Position „glücklich machen geht nicht“ zu verfassen.
Nun aber habe ich das zweimal gelesen und kann dem nur uneingeschränkt zustimmen.
So „uneingeschränkt“ das eben halt geht, wenn man gerade merkt, dass man sich von einer jahrelang für richtig gehaltenen Position zu verabschieden hat.
Liebe Dorothee, nun habe ich Deine Gedanken zum zweiten Mal gelesen und kann ihnen immer noch zustimmen, mit der Einschränkung, dass diese Haltung eigentlich allem widerspricht, was wir (ich) verinnerlicht haben. Entsprechend schwer ist es, sie in sich zu entwickeln. Auf einer Postkarte bekam ich vor Jahren einen ähnlichen Gedanken, den ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufe: „Ich liebe Dich, nicht nur weil Du bist wie Du bist, sondern weil ich bin, wie ich bin, wenn ich bei Dir bin!“ Auch da steht das Sein lassen im Vordergrund, statt dem haben wollen von dem anderen.
Ich habe Dein neues Buch nun doch schon angefangen, danke! Lieber Gruß von Jochen